Neues Leben für das Studebaker Cabriolet
Murgenthal Urs Schärer ist am Renovieren eines Oldtimers
«I bi e chli am ufruume», sagt Urs Schärer bei der Begrüssung fast entschuldigend. 67 Jahre alt ist der Rikner Unternehmer mit Standbeinen im Transportbereich, Brennholz- und Pneuhandel. Und eigentlich seit zwei Jahren pensioniert. «Zumindest ein wenig pensioniert», wie er schmunzelnd hinzufügt. Er mache einfach nicht mehr alle Arbeiten, sagt er. «Aushub transportiere ich zum Beispiel nicht mehr», sagt Urs Schärer. Auch die Winterräumung, welche er auf den Gemeindestrassen von Murgenthal, Riken und Glashütten während 33 Jahren zuverlässig erledigte, hat er aufgegeben. Aus Gründen, über die er nicht sprechen mag. Dorfgeschichten eben.
Doch langweilig wird es dem langjährigen Vorstandsmitglied und Präsidenten des Handwerker- und Gewerbevereins Murgenthal in seinem dritten Lebensabschnitt sicherlich nicht werden. Denn Urs Schärer hat sich Mitte Jahr einen schon lange gehegten Traum erfüllt. Ein Oldtimer steht in der grossen Halle, den er seither restauriert.
Studebaker statt Jaguar
Ein Jaguar E-Type sollte es werden, so die Absicht von Urs Schärer. «Dieses Auto hätte nicht zu Urs gepasst», sagt Jürg Widmer, der im Haus nebenan wohnt und sich mittlerweile zu uns gesellt hat. «Liegt viel zu tief», sagt der Nachbar. «Stimmt», bestätigt auch Urs Schärer, dazu komme, dass so ein Oldtimer viel zu teuer ist. Dann hat ihm sein Schwiegersohn Marcel Plüss, der in der Oldtimer-Branche tätig ist, einige Studebaker gezeigt, die in Pfaffnau eingelagert sind. So habe er den Wunsch nach einem Jaguar E-Type ohne weiteres abhaken können, sagt Schärer. Und als ihm von einem Sammler ein Studebaker Commander Langenthal Cabriolet angeboten worden sei, führt Schärer weiter aus, sei er bei der Besichtigung des Fahrzeugs in Wangen b/Olten hin und weg gewesen. Liebe auf den ersten Blick. Seine Frau Annelise habe später einmal zu ihm gesagt, sie glaube, dass dieses Auto auf ihn gewartet habe.
Urs Schärer erwarb den Studebaker für einen tiefen fünfstelligen Betrag «und e chli Münz», wie er schmunzelnd meint. Denn der Studebaker war zwar 1980 komplett renoviert worden, stand dann aber mehr als vierzig Jahre lang still. Standschäden waren die Folge beim Fahrzeug mit Jahrgang 1939, das nicht mehr fahrbar war, die es «mit e chli Münz» und viel Arbeit in Eigenregie zu beseitigen galt. So mussten beispielsweise die blockierten Zylinder ersetzt und die Kühlergitter frisch verchromt werden. Und den Unterboden hat Urs Schärer selbst neu grundiert. «Ich habe meinen Aufwand nicht notiert», sagt er, aber er habe sicher 100 Stunden geschliffen, grundiert und was es sonst noch alles zu tun gab.
Harmonische Formen, dezente Farben
Ja, und dann entfernt Urs Schärer die schützende Hülle, unter der das Cabriolet versteckt ist. Zum Vorschein kommt ein cremefarbig-dunkelbraun lackiertes Cabriolet mit runden Formen, hellbraunen Ledersitzen und farblich abgestimmten Teppichen im Fahrgastraum, Chromzierstangen, schwarzen Trittbrettern als Einstieghilfe und, und, und. Ein Traum von einem Cabriolet, auch wenn die Torpedobleche und die Kühlergitter momentan nicht montiert sind. Ein Fahrzeug, das sich durch harmonische Formen, wenig Chrom und dezente Farbgebung auszeichnet. «Ich hoffe, dass die Arbeiten im Januar so weit abgeschlossen sind, dass ich den Motor ein erstes Mal starten kann», führt Urs Schärer aus, «falls er dann läuft». Im besten Fall könne er das Fahrzeug anschliessend vorführen, damit er es regelmässig «ausführen» könne.
Vom Kutschenbauer zum Automobilhersteller
Studebaker – das war einst die Avantgarde im amerikanischen Fahrzeugbau. Das 1852 als Schmiede gegründete Unternehmen fertigte zu Beginn seiner Unternehmenstätigkeit Kutschen und Fuhrwerke – 1885 wurden 75´000 solche Fahrzeuge gebaut. Ab 1897 beschäftigte sich Studebaker erstmals mit Motorfahrzeugen, die von Elektromotoren angetrieben wurden. 1904 entwickelte die Firma erstmals benzingetriebene Autos. Ab den 1920-er-Jahren vollzog die Studebaker Corporation die vollständige Umstellung vom Kutschen- zum Automobilhersteller, der in den 1950-er-Jahren den Höhepunkt seines Erfolgs erreichte. 1966 musste die Automobilherstellung definitiv eingestellt werden. Der Firma fehlten die Mittel, die Konkurrenz von Ford, General Motors und Chrysler war zu stark geworden.
«Made in Langenthal» – für eine betuchte Kundschaft
Doch wie kommt ein US-amerikanisches Fahrzeug wie der Studebaker Commander zu seinem Zunamen «Langenthal Cabriolet»? «Ganz einfach», sagt Urs Schärer, «mein Studebaker wurde 1939 in der Carrosserie Langenthal (heute Calag) auf ein importiertes Chassis aufgebaut». Eigentlich erstaunlich, wenn man die Zeitumstände bedenkt: 1929 schlitterte die Welt in eine grosse Weltwirtschaftskrise – und zur gleichen Zeit begannen Schweizer Carrossiers wie die Carrosserie Langenthal, sich der Herstellung von Sport- und Luxuswagen der berühmtesten Marken zuzuwenden. Möglich wurde dies vor allem durch den Umstand, dass der Bundesrat 1931 erhebliche Zollvergünstigungen für die Einfuhr von Automobil-Chassis beschloss, die dann in der Schweiz aufgebaut wurden. Und auch, weil es offenbar eine grosse Nachfrage nach Langenthaler Cabriolets gab. Von einer betuchten Kundschaft. «Geld spielte offenbar kaum eine Rolle», betont denn auch Jürg Widmer, wenn man die Qualität der Fahrzeuge betrachte. «Das sind Autos, die für die Ewigkeit gemacht sind», sagt er.
Die Carrosserie wurde in der Regel von den Serienausführungen abgewandelt, indem man Kühler, Motorhaube und die vorderen Kotflügel übernahm und den Rest in ruhiger Linie anpasste, wie Ferdinand Heiniger die Arbeit der Carrosserie Langenthal in seinem Buch «Schweizer Carrossiers» charakterisiert. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam die Automobil-Produktion in Langenthal schlagartig zum Erliegen. Nach dem Kriegsende wurde sie nochmals für kurze Zeit (1947 – 1952) aufgenommen, doch dann musste sich das Unternehmen wegen der günstigeren ausländischen Konkurrenz neu ausrichten.
(K)ein Original?
Nicht ganz lückenlos dokumentiert ist die Geschichte von Urs Schärers Oldtimer. Sicher ist, dass der Studebaker Commander 1939 in Langenthal gefertigt wurde – und damit eines der letzten Fahrzeuge war, das die Langenthaler Werkhalle vor dem Krieg verliess. Zwei Zulassungsscheine von 1968 beziehungsweise 1978 lassen Urs Schärer vermuten, dass sein Studebaker in diesem Zeitraum umgebaut wurde. «1968 war das Fahrzeug als Limousine eingelöst worden, 1978 hingegen als Cabriolet», führt er aus. Die Vermutung liegt das deshalb nahe, dass der Studebaker in Langenthal als Limousine gefertigt und zwischen 1968 und 1978 zum Cabriolet umgebaut wurde. Vielleicht werde er einmal Nachforschungen anstellen – doch wichtiger ist ihm, dass er bald ein erstes Mal den Zündschlüssel drehen kann. Als er sich für den Fotografen ans Steuer setzte, ist ihm die Vorfreude auf diesen Moment deutlich ins Gesicht geschrieben …