Wo Abfallberge zu Wertstoffen werden
Rothrist Gelebter Umweltschutz im Recycling Center Wiggertal
Rothrist, Industrieweg 31. Auf dem Industriegelände des Recycling Centers Wiggertal (RCW) ist allenfalls ein Blick auf die Jurahöhen idyllisch. Doch auch in der gedeckten Halle des RCW lassen sich Berge entdecken. Sortenrein getrennte Berge: Metalle, Kabel, Messingspäne, Medizinaltechnikabfälle. Kurz: Gewaltige Abfallberge. Das lässt Mario Cunsolo, Leiter Metallhandel der E. Flückiger AG, die das RCW seit etwa 15 Jahren betreibt, so nicht durchgehen. «Für uns sind das Wertstoffe, die wir zu einem grossen Teil der Wiederverwertung zuführen können», präzisiert er. Die Kundschaft ist dabei breit gestreut und reicht von Privatpersonen über Gewerbetreibende bis hin zu Grossanlieferern. «Bei uns kann aber grundsätzlich jedermann entsorgen», hält Cunsolo fest. Und zwar alles, was anfällt: Papier, Karton, Holz, PET, Glas, Sperrgut, Plastic, Elektroschrott, Altmetall, Schrott, Aluminium, Textilien, Batterien, Leuchtmittel, Grüngut.
Grosse Abfallmengen – hohe Recyclingquote
Und es fällt viel an. Enorm viel. Die Schweiz gehört weltweit zu den Spitzenreitern, was die Menge der anfallenden Siedlungsabfälle pro Person betrifft, hält das Bundesamt für Umwelt (BAFU) auf seiner Homepage unmissverständlich fest. Betrug die jährlich produzierte Abfallmenge pro Person 1970 noch 309 Kilogramm, so hat sich diese bis ins Jahr 2000 auf 659 Kilogramm mehr als verdoppelt. 700 Kilogramm sind es gemäss BAFU 2020 gewesen. Tendenz weiterhin steigend.
Auf der anderen Seite ist aber auch klar festzuhalten: Die Schweiz hat in den letzten drei Jahrzehnten ein gut funktionierendes Entsorgungssystem aufgebaut, in dem öffentliche und private Entsorger Hand in Hand zusammenarbeiten. «Das ist so», bestätigt Janine Flückiger, die das Rothrister Familienunternehmen zusammen mit ihrem Vater Heinrich in vierter Generation führt. «Wir pflegen langjährige Partnerschaften, arbeiten auch mit den regionalen Entsorgungscentern gut zusammen und wollen die Sammelstelle der Gemeinde nicht konkurrenzieren», betont sie. Deshalb sei das RCW am Samstag nicht geöffnet.
Dank dem Sammelfleiss der Schweizer Bevölkerung und den funktionierenden Recyclingsystemen können alljährlich viele Wertstoffe in den Rohstoff-Kreislauf zurückgeführt werden. Die neusten Zahlen des BAFU für das Jahr 2022 weisen für die Schweiz folgende recyclierte Mengen pro Person aus: 124,7 Kilogramm Altpapier und Karton, 158, 7 Kilogramm vergärte biogene Abfälle, 38, 8 Kilogramm Altglas, 13,7 Kilogramm elektrische oder elektronische Abfälle, 6,7 Kilogramm Textilien, 4, 1 Kilogramm PET-Getränkeflaschen, 1,5 Kilogramm Konservendosen, 1,6 Kilogramm Aluminiumverpackungen sowie 0,3 Kilogramm Batterien. Insgesamt ergibt das eine recyclierte Gesamtmenge von 350, 1 Kilogramm pro Person, was einer eindrücklichen Sammelquote von 52 Prozent entspricht. Auch damit belegt die Schweiz einen Spitzenplatz.
Kreislaufwirtschaft ist unter Druck
Das ist zwar schön und gut. Doch in den letzten Jahren sind am Recycling-Himmel auch einige dunkle Wolken aufgezogen, die Gemeinden und Recycling-Unternehmen belasten und bei Herr und Frau Schweizer vermehrt aufs Portemonnaie durchschlagen (könnten). Besonders dramatisch hat sich die Situation beim Altkarton entwickelt. Noch im September 2017 erhielten Recycling-Firmen annähernd 100 Franken pro Tonne Altkarton. Zwei Jahre später war Altkarton wertlos. Recycler, die Karton an Papier- oder Kartonfabriken liefern wollten, mussten ab September 2019 sogar draufzahlen. Zwei Hauptgründe waren für diese Entwicklung verantwortlich. China als weltweit grösster Abnehmer von Altkarton hatte die Einfuhr von Altkarton aus dem Westen drastisch reduziert. «Verschärft wurde der Zerfall der Karton-Marktpreise durch den viel zitierten Zalando-Effekt», fügt Mario Cunsolo an. Durch den vermehrten Online-Einkauf gelangten immer grössere zusätzliche Mengen Verpackungsmaterial in den Recycling-Kreislauf. Die Folge: Ein massives Überangebot von Altkarton liess die Preise ins Bodenlose fallen. Erste Gemeinden in der Schweiz begannen bereits 2019, Gebühren für Kartonanlieferungen in Sammelstellen zu erheben. Der Luzerner Abfallverband Real (Recycling Entsorgung Abwasser Luzern) behalf sich längere Zeit mit einer Mischrechnung und gab 2021 fast eine halbe Million Franken fürs Karton-Recycling aus. Eine Erholung der Marktsituation ist heute nicht in Sicht. Deshalb fordert auch das Recycling Center Wiggertal seit kurzem eine kleine Gebühr für die Entsorgung von Karton ein. Ein Zweifränkler ist pro Ablad mindestens zu entrichten.
Auch andere Bereiche sind unter Druck gekommen. «Die Schweizer Kreislaufwirtschaft kommt wegen steigender Energiepreise unter Druck», liessen der Verband Stahl-, Metall- und Papier-Recycling Schweiz (VSMR) und der Schweizerische Shredder-Verband (SSV) in einer gemeinsamen Medienmitteilung im September 2022 verlauten. Allein bei der Schweizer Verarbeitungsmenge von rund 1,5 Mio. Tonnen Altmetallen und Schrotten ergäben sich durch die höheren Energiepreis Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe, rechnen die Verbände vor. «Die Margen sind allgemein kleiner geworden», stellt auch Janine Flückiger fest. Das hänge nicht nur mit den höheren Energiepreisen zusammen. Ein weiterer Grund sei, dass die Wertigkeit des Materials ebenfalls abgenommen habe. Die Geräte würden immer billiger, was zur Folge habe, dass am Material gespart werde. «Das hat auch Konsequenzen für den Recycler», sagt sie. Es gelte, genau zu überlegen, was was man selber trennen wolle und was man einem anderen Spezialisten weitergibt zur Verarbeitung. «Damit am Ende des Tages auch etwas in der Kasse bleibt», bringt sie es auf den Punkt.
Stärken im Metall-, Schrott- und Kühlgeräte-Recycling
Annehmen wird das RCW weiterhin alle Materialien. «Recycling ist ein Mengengeschäft», hält Mario Cunsolo klar fest. Die Stärken der E. Flückiger AG liegen seit je her im Metall- und Schrottrecycling, seit den 1990-er-Jahren ist auch das Kühlgeräte-Recycling zu einem starken Standbein der vielfältigen Firma geworden. Die eben erst installierte, hochmoderne Anlage für die Entsorgung von Kühlgeräten läuft schon bald in Vollbetrieb, wie Janine Flückiger nicht ohne Stolz vermelden kann. Ausgelegt auf eine Menge von 120´000 Kühlgeräten jährlich (im 1-Schicht-Betrieb) werden in Rothrist momentan 90´000 Geräte umweltgerecht entsorgt.
Handel mit Alteisen – das war einst die Vision des Firmengründers Ernst Flückiger-Brechbühler, der 1924 die Firma im Flecken Bonigen gründete. In ihrer 100-jährigen Geschichte entwickelte sich E. Flückiger AG zu einem breit diversifizierten Unternehmen, das heute in den Bereichen Eisen- und Metallhandel, Transporte und Muldenservice sowie Rückbau (inklusive Sanierungen) tätig ist. Sämtliche Aktivitäten sind dabei auf eine umweltgerechte und effiziente Entsorgung und Wiederverwertung von Abfall ausgerichtet. «Recycling ist für uns keine Nebensache», heisst es denn auch der Homepage der Firma. Das schont auch die Umwelt.
Entsorgen reinigt
Doch zurück zum Recycling Day. Swiss Recycle, der Dachverband der Schweizer Recycling-Organisationen, fordert die Bevölkerung zum diesjährigen Recycling Day dazu auf, insbesondere defekte oder ungenutzte Elektrogeräte zu entsorgen. Sieben ungenutzte Geräte, die eigentlich recycelt werden können, sollen im Schnitt in Schweizer Kellern, Schubladen oder Büros schlummern. Es mache Sinn, solche Geräte zu entsorgen, meinen Janine Flückiger und Mario Cunsolo übereinstimmend. «Von Zeit zu Zeit auszumisten – das sei auch ein Reinigen», findet Janine Flückiger. Von Seele und Raum.