«Ich habe viel zurückerhalten von der azb-Familie»
Strengelbach André Rötheli geht in Pension und blickt auf seine Zeit im azb zurück
Scheiden tut weh, sagt das Sprichwort. Dementsprechend würde er seine Gefühlslage momentan als unterschiedlich bezeichnen, sagt André Rötheli beim Treffen Ende November. Auch wenn er sich auf den neuen Lebensabschnitt freue.
19 Jahre sind vergangen, seit sich der Wirtschaftsingenieur FH 2005 auf die ausgeschriebene Stelle als Geschäftsführer der Strengelbacher Stiftung azb beworben hatte und gewählt wurde. Als Branchenfremder. Denn Rötheli hatte sich nach einer Ausbildung als Elektromechaniker an der Ingenieurschule in Burgdorf zum Elektroingenieur ausbilden lassen und war anschliessend im Eisenbahnbusiness bei Brown, Boveri & Cie (BBC) und all seinen Folgeunternehmen im Bereich Entwicklung von Leitelektronik und zuletzt bei Bombardier Schweiz im Bereich der Prozess- und Produktverbesserung sowie Organisationsentwicklung unterwegs. «Ein spannender Job», betont Rötheli. Ein Job aber auch, in dem es zumindest in der Schweiz kaum mehr ihm passende Verbesserungsmöglichkeiten gegeben habe. Deshalb habe sich ihm mit 45 Jahren die Frage gestellt, welchen nächsten Schritt er in seiner beruflichen Laufbahn machen wollte, blickt André Rötheli zurück. Geprüft hat er damals etliche Optionen. Insbesondere Optionen, bei denen er sein in einem Nachdiplomstudium zum Wirtschaftsingenieur FH erworbenes Wissen in Unternehmensführung hätte einbringen können: Etwa als Leiter eines Stromversorgungsunternehmens oder eines Alterszentrums. «Am meisten fasziniert hat mich dann die ausgeschriebene Stelle als Leiter der Stiftung azb», betont er. Für ihn sei das eine ideale und vielseitige Kombination von Geschäftsführung, Technik und Sozialem gewesen.
Menschen wie Du und ich
Im Oktober 2005 trat Rötheli seine Stelle in Strengelbach an, die Geschäftsführung übernahm er am 1. Januar 2006 von seinem Vorgänger Hans Esslinger. «Wie die meisten Menschen hatte ich vor meinem Stellenantritt im azb kaum Kontakt mit Menschen mit Unterstützungsbedarf», sagt André Rötheli. Entsprechend wenig habe er daher auch über sie gewusst. Der tägliche Umgang mit betreuten Menschen habe ihn schnell gelehrt, dass Berührungsängste fehl am Platz wären. «Es sind Menschen wie Du und ich», betont er, vielleicht etwas spontaner als andere. Im Übrigen hätten ja die meisten Menschen irgendeine Art von «Beeinträchtigung», fügt Rötheli weiter an, Brillenträger etwa würden eine Sehhilfe brauchen.
Einigermassen herausfordernder Start
So unproblematisch der Umgang mit Bewohnenden und Mitarbeitenden von Beginn an war, so waren die ersten beiden Jahre im azb doch einigermassen herausfordernd. Gleich vier Bauprojekte mussten bis 2008 abgeschlossen werden, weil der Neue Finanzausgleich in Kraft treten und damit die Bundesbeiträge wegfallen würden, respektive neu beantragt werden müssten: Das eben erst erbaute Werkstattgebäude musste saniert werden, weil einschneidende statische Probleme erkannt worden war. Das in Vordemwald neu erworbene Bauernhaus im Ramoos galt es behindertengerecht umzubauen und gleichzeitig zu sanieren. Das Wohnhaus Insel musste barrierefrei renoviert werden. Und das Wohnhaus Nord wurde vollständig saniert und modernisiert. «Ich habe die damaligen Bauarbeiten nicht als übermässige Belastung empfunden, weil ich von einem guten Team und kompetenten externen Experten unterstützt wurde», sagt André Rötheli im Rückblick. Diese speziellen Projekte habe er – wie auch später die Realisierung des Kreiselschmucks beim Kreuzplatz, der Photovoltaikanlagen oder des Wärmeverbunds Hardmatt – immer als besonders interessant empfunden, weil es dabei viel zu lernen gab.
Nebenbei lief natürlich das Tagesgeschäft, das im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte bestimmt nicht weniger wurde. Denn die Stiftung ist in der Aera Rötheli von 470 auf über 700 Mitarbeitende angewachsen, hat in dieser Zeit über 50 Mio. Franken investiert und mehr als einen Drittel ihres Gesamtumsatzes durch Kundenaufträge erwirtschaftet.
Viele Veränderungen
Doch die Stiftung ist nicht nur gewachsen, sie hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten auch entsprechend verändert, wie der scheidende Geschäftsleiter festhält. Im Arbeitsbereich sei heute – Stichwort Teilzeitarbeit – vermehrt Flexibilität gefordert. «Das hat die Herausforderungen erhöht», gibt Rötheli zu verstehen, nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Organisation des Arbeitsprozesses und einer passenden Tagesstruktur sei anspruchsvoller geworden. Zudem erreichen Bewohnende tendenziell ein höheres Alter, sodass das Durchschnittsalter angestiegen ist. Von da her haben sich auch neue Angebote wie beispielsweise Nachmittagsangebote für Pensionierte ergeben. «So wie sie andere Pensionierte auch haben», wie Rötheli ausführt. Auch im Betreuungsbereich seien ab neuem Jahr neue Angebote geplant. So etwa das ambulante Wohnen, bei dem die Stiftung azb zusammen mit zwei Partnerorganisationen Betreuungsdienstleistungen für extern Wohnende erbringen wird. Zudem sei auch eine Wohngruppe für Menschen mit herausforderndem Verhalten geplant. «Es ist immer unser Ziel gewesen, ein umfassendes und durchgängiges Leistungsspektrum anbieten zu können», betont Rötheli. Immer mit dem Ziel, Menschen mit Unterstützungsbedarf in ihrer Selbstständigkeit auf einem inklusiven Weg zu fördern, ihnen ein Daheim sowie eine sinnstiftende Arbeit bieten zu können. Als kritischer Massstab dazu wurden immer wieder die Forderungen der UNO-Behindertenrechtskonvention herangezogen.
«Werde die strahlenden Gesichter vermissen»
Anfangs November hat André Rötheli die Führungsverantwortung bereits an seinen Nachfolger Marco Sutter übergeben. Bis Ende Jahr steht er seinem Nachfolger noch unterstützend zur Verfügung und macht diverse Projekte zur Übergabe fertig. Ende Jahr wird er seinen Arbeitsplatz endgültig verlassen. In der Gewissheit, dass er seinem Nachfolger einen gesunden Betrieb mit klaren Wertvorstellungen, mit tollen Mitarbeitenden und einer gut unterhaltenen Infrastruktur übergeben darf. Ganz von Strengelbach verabschieden wird sich der in Schönenwerd wohnhafte Rötheli aber nicht. Beim Wärmeverbund Hardmatt wird er seine Funktion als geschäftsführender Prokurist beibehalten. Angesichts der Tatsache, dass er den Aufbau wie auch die bisherigen zwei Erweiterungen geleitet hat, ist er gerne bereit, diese Aufgabe weiterhin auszuführen.
Vermissen wird er aber sicher die Begegnungen und den Austausch mit Bewohnenden und Mitarbeitenden des azb. «Ich habe viel zurückerhalten von der azb-Familie», betont Rötheli, insbesondere die Spontanität, die Ehrlichkeit und die strahlenden Gesichter der Bewohnenden mit Unterstützungsbedarf würden ihm fehlen. Dankbar schaut er auch auf die grosse Unterstützung und das grosse Vertrauen, welches er in der ganzen Zeit von den Mitarbeitenden, dem Leitungsteam wie auch vom Stiftungsrat erhalten hat, zurück.
Langweilig wird es nicht werden
Und dann? «Mein oberstes Ziel ist es sicher nicht, dauernd unterwegs zu sein», führt André Rötheli aus. Er reise zwar gerne, sei aber ebenso gerne zu Hause. Als Sohn von «Fürobe-Buure», Nebenerwerbs-Bauern, bestelle er gerne den eigenen Garten und die Umgebung oder helfe dort, wo Unterstützung gebraucht werde. Auch freut er sich darauf, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. Dann beabsichtigt er, die Ahnenforschung wieder aufzunehmen – eine Arbeit, die er vor einigen Jahren beiseitegelegt habe. Mehr Zeit will das Ehrenmitglied der Musikgesellschaft Härkingen –in diesem Dorf ist Rötheli aufgewachsen – für das Üben mit dem Cornet aufbringen, die wöchentliche Probe besuchte und besucht er wann immer möglich. «Und dann bin ich auch gerne mit dem E-Bike unterwegs», fügt er an. Und ergänzt dann – bescheiden wie er ist – dass er seit 2016 fast bei jeder Wetterlage von Schönenwerd zur Arbeit ins azb gefahren sei. Rund 40´000 hochgradig gesunde Kilometer dürfte Rötheli so zurückgelegt haben. Chapeau – und weiterhin gute Fahrt, André!