Ernst Wüthrich über den «Vater der Anbauschlacht» – und was wir 2022 von ihm lernen können
F.T. Wahlen wurde 1899 geboren. «Seine Geburtsgemeinde war die meine», sagt Wüthrich. Er besass alte Fotos, weil sein Vater und Wahlen Nachbarskinder waren. Diese Bilder und andere Gegenstände wurden anlässlich einer Gedenkfeier 1999 ausgestellt. «Nach der Feier kam die Idee auf, eine dauerhafte Gedenkstube für Wahlen einzurichten.» – «Das ging nicht recht vorwärts», erinnert sich Wüthrich. So sei er eines Tages auf die Idee gekommen, einen Film zu machen. Darin geht es nicht nur um die Anbauschlacht, sondern vor allem um die Persönlichkeit des legendären Bundesrates, der nicht nur in der Landesregierung sass, sondern auch in der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen eine wichtige Rolle spielte.
Wahlens Plan zur Ausweitung der Ackerfläche war sehr erfolgreich. Die Produktion von Kartoffeln verdoppelte sich. «Bis vors Bundeshaus hat man jedes Gärtchen benutzt, um Kartoffeln anzubauen», so Wüthrich. Der Selbstversorgungsgrad stieg von 52 auf 73 Prozent.
Wüthrich ortet heute Parallelen zur damaligen Situation. «Es herrscht heute wieder eine gewisse Kriegsangst». Und auch heute gebe es wieder Mangelsituationen, wenn auch nicht so ausgeprägt wie damals. «Die Ukraine hat 70 Prozent Ernteeinbussen.» Parallelen sieht er auch bei der heutigen Diskussion um die Freiheit: «Wir werden heute wieder aus Gründen der Solidarität eingeschränkt, ich denke da etwa ans Maskentragen. Und vielleicht kommen schon bald Vorschriften über den Energieverbrauch.» Das erinnere an damals, als die Konsumenten Marken brauchten, um an Fleisch und Milchprodukte zu kommen.
Aus dem zweiten Weltkrieg habe sich die Schweiz heraushalten können. «Aber: Druck gab es trotzdem.» Ein Eingeständnis, das die Schweiz habe machen müssen, sei die Verdunkelung der Fenster gewesen. Das sei eine Konzession an Hitler gewesen. Wenn Gebäude nachts beleuchtet gewesen wären, hätte dies den Bombern der Alliierten als Orientierung gedient. Auch hier sieht Wüthrich Parallelen zu heute, etwa in der Frage der Sanktionen und in der Zusammenarbeit mit der Nato. Die Schweiz könnte stärker mit der Forderung konfrontiert sein, für das Billett zu zahlen, wenn sie im Sicherheitszug des Westens mitfahren wolle.
Was kann man von Wahlen und seiner Anbauschlacht lernen? «Sicher dies: Es ist gut, man ist vorbereitet.» Die private Bevorratung sei damals noch viel besser gewesen. «Heute kauft der Privathaushalt alles ein. Man ist also noch viel abhängiger.» Man müsse sich überlegen, wie gut es sei, so stark vom Ausland abhängig zu sein. «Bei den Nahrungsmitteln würde dies heissen, die private Bevorratung, aber auch die Pflichtlager zu fördern.» – Die Erfahrung zeige, dass bei Mangelsituationen jedes Land zuerst für sich schaue. Eine möglichst gute Selbstversorgung sei deshalb wichtig, so Wüthrich.
Zur Person
Ernst Wüthrich ist im Kriegsjahr 1943 als Bauernsohn im Emmental geboren, sein Vater war mit Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen befreundet. «Dessen Wertehaltung prägte unsere Familie stark», sagt er. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule St. Gallen und arbeitete anschliessend als Marketingexperte für bekannte Unternehmen wie die Coca-Cola AG und die Rivella AG. Später war er für die Institute A.C. Nielsen und IHA in der Marktforschung tätig. Danach wurde er Wirtschaftsdozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz, wo er unter anderem ein Institut für Management-Weiterbildung leitete. Das Leben und Wirken von Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen eines seiner Spezialgebiete; Wüthrich initiierte mehrere Filme dazu. Er war zudem Initiator der Oper Tell in Interlaken 2018. Er lebt in Strengelbach.
Filmvortrag am 28. Oktober
Am 28. Oktober ist Prof. Ernst Wüthrich mit einem Filmvortrag unter dem Titel «Nahrungssicherheit und Neutralität damals und heute» an der Volkshochschule Zofingen zu Gast; mitorganisiert wird der der Anlass von der Historischen Vereinigung Zofingen. Im Zentrum des Films steht Friedrich Traugott Wahlen, der «Vater der Anbauschlacht» im zweiten Weltkrieg. Mit «Brot aus eigenem Boden» und mehr Kalorien pro Flächeneinheit sollen viel mehr Menschen ernährt werden, vor allem durch eine verordnete Ausweitung des Ackerbaus, wodurch es zu Konflikten mit Handels- und Gewerbefreiheit kam. «Im Film schildern letzte Zeitzeugen diese Mehrarbeit: Viele Bauern sind samt Pferd im Dienst, Bäuerinnen und Kinder müssen zupacken und Kühe einspannen, erfahren aber auch solidarische Hilfe», heisst es in der Ankündigung zum Vortrag. Als massgeblicher Autor und Regie-Leiter zeigt Ernst Wüthrich, wie die Filmproduktionen entstanden sind und welche Verdienste die historische Persönlichkeit F. T. Wahlen hat.
28. Oktober 2022, 19.30 Uhr im Museum Zofingen, Eintritt frei, keine Anmeldung nötig.