Grosser Nutzen, aber viele Hürden
Oftringen Die Geschäftsleitung des Lindenhof trieb die Digitalisierung weiter voran
«Die Politik ist stärker gefordert.» Das ist eine der Kernaussagen von Lindenhof-Geschäftsführer Ralph Bürge. Grund für die Aussage: Seit kurzem kommt in der ambulanten und stationären Pflege die Software «Perigon» zum Einsatz. Die Software an sich ist nicht neu. Sie findet häufige Anwendung in Spitex-Organisationen. Neu ist allerdings die Hybridform.
Die Handhabung ist einfach. Jede Pflegeperson trägt ein Smartphone mit Infrarotsensor auf sich. Sobald sie das Zimmer eines Kunden oder einer Kundin betritt, wird das Dossier automatisch angezeigt, zugleich beginnt die Zeiterfassung. Das Dossier enthält sämtliche Informationen, welche für die Pflege und die Therapien relevant sind. Die Pflegeperson weiss also genau, was zu tun ist; via Smartphone kann sie ihre Arbeit sofort dokumentieren. Beim Verlassen des Zimmers wird das Dossier via Infrarotsignal wieder geschlossen. Die erbrachten Leistungen fliessen dann automatisch in die spätere Abrechnung ein.
Der Lindenhof spricht von einer Win-Win-Situation. Das Pflegepersonal hat mehr Zeit für ihre Aufgaben, weil die Administration minimiert wird. Die Kunden freuen sich über mehr Betreuungszeit. «Ein weiterer grosser Vorteil ist, dass wir unsere Ressourcen viel besser einteilen können,» so Bürge. «Alle haben den gleichen Stand dank Perigon. So kann das Personal der ambulanten Pflege auf der stationären aushelfen und umgekehrt.» Dem Fachkräftemangel könne so entgegengewirkt werden.
Viel Zustimmung, aber noch mehr Hürden
Die Präsentation der Software und die Demonstration auf der Station stiess bei allen Gästen auf grosses Interesse und Zuspruch. Politisch gesehen gibt es jedoch einige Hürden zu überwinden. Grundlegend fehlt es an der Bereitschaft von Ärzten und Krankenkassen, die Elektronischen Patientendossiers (EPD) als Standard einzuführen. Ein Argument, das von verschiedenen Seiten zu hören war. Die wären aber notwendig, um mit Perigon noch effektiver arbeiten zu können. Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel betonte ausdrücklich, dass der Bund keinerlei Möglichkeit hat, auf die Kantone Druck auszuüben. «Die Kantone wollten das Gesundheitswesen selber regeln. Wir können nicht eingreifen.» Im Bezug auf die EPDs hat Humbel in den letzten Jahren bereits mehrere Vorstösse vorgelegt, wovon einige nach wie vor pendent sind. Weiter betont sie: «Wenn der Bund sich in Bezug auf die EPDs und Hausärzte einmischt, liegt sofort ein Referendum vor.»
Der Leiter Langzeitversorgung Departement Gesundheit und Soziales Kanton Aargau, Björn Mohler steht vor ähnlich gelagerten Problemen wie Daniel Suter. Suter ist stv. Geschäftsführer der vaka, der Verband der Spitäler, Kliniken, Pflege- und Spitex-Organisationen im Kanton Aargau. Ins gleiche Horn bläst auch Marcel Durst, der Geschäftsführer der Association Spitex privée Suisse ASPS. Alle sind sich einig – die Grundvoraussetzungen sind zu schlecht, um ein einheitliches System einzuführen. Auf der Wirtschaftsebene stossen alle Vertreter auf Hürden und Schwierigkeiten, die sich in mangelnder Kooperationsbereitschaft begründen.
Auf den ersten Blick gesehen wäre die Lösung für ein einheitliches Abrechnungssystem in der ambulanten und stationären Pflege so einfach. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass sich Politik und Wirtschaft nicht immer mit Gesetz und Innovation vereinen lassen. Es hat den Anschein, als ob sich die Katze in den eigenen Schwanz beisst. Denn trotz der Notwendigkeit und dem grossen Interesse wird es schwierig, ein einheitliches System wie Perigon im Gesundheitswesen zu etablieren. Eine Hoffnung bleibt aber: Es sei eine Frage der Zeit, bis sich ein solches System durchsetzen wird. Darin sind sich alle einig. Nationalrätin Martina Bircher brachte noch einen Vorschlag ins Spiel: «Wieso macht Ihrs nicht einfach. Dann steigt der Druck automatisch.» Gemeint waren die Pflegeinstitutionen. Wenn diese alle an einem Strang ziehen und die Hybridlösung einführen würden, müsste die Politik darauf reagieren. Die Zeit wirds zeigen.