Kein Auto wie jedes andere, sondern eine Lebenseinstellung
Oftringen Der Döschwo lief vor 75 Jahren erstmals vom Band
«Wenn Sie schon über das Auto schreiben wollen, hole ich Sie ab», sagt Ueli Hafner bestimmt, «so waren Sie zumindest einmal als Beifahrer in einem Döschwo unterwegs». Dann steht der jugendlich wirkende, 69-jährige Oftringer da und los geht die Fahrt im Charleston – der bekannten rot-schwarzen Sonderedition des Döschwo, die ab 1980 auf den Markt kam. Die Fahrt geht Richtung Oberentfelden, wo Hafner seine Citroëns – ein früheres Modell des Charleston, eines der seltenen 2 CV-Sahara-Modelle mit zwei Motoren sowie eine DS – und weiteres Zubehör im Elternhaus eingestellt hat. Auf Nebenstrassen und -strässchen. «Mit einem Döschwo kommt man überall durch und hin», meint Hafner, man müsse einfach etwas mehr Zeit einrechnen. Trotzdem: Eine Spitze von gut 120 km/h erreiche sein Charleston-Modell – ein 2 CV 6 – schon, vor allem wenn es bergab gehe, sagt Hafner. Schmunzelt und fügt dann an: «vor Frauenfeld gibt es auf einem leicht abfallenden Autobahn-Stück einen Blitzer. Ich habe dort das Gaspedal schon mehrmals ganz nach unten gedrückt – für einen Blitzer hat es aber leider noch nie gereicht …».
Die französische Antwort auf den deutschen Käfer
«Der Döschwo ist ein genial einfacher Wagen», schwärmt Ueli Hafner unterwegs. 1934 hatte Citroën-Direktor Pierre-Jules Boulanger seinen Konstrukteuren den Auftrag zur Planung eines minimalistischen Kleinwagens erteilt. «Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und dabei nur drei Liter Benzin auf 100 km verbraucht. Ausserdem soll es selbst schlechteste Wegstrecken bewältigen können und so einfach zu bedienen sein, dass selbst ein Fahranfänger problemlos mit ihm zurechtkommt. Es muss ausgesprochen gut gefedert sein, sodass ein Korb voll mit Eiern eine Fahrt über holprige Feldwege unbeschadet übersteht», so lauteten seine Vorgaben. 1938/1939 wurden die ersten Prototypen hergestellt. Dann kam der Krieg und die deutsche Invasion, die Prototypen wurden vernichtet, einzelne versteckt – und erst in den 1990-er-Jahren zufällig wieder entdeckt. Nach dem Krieg wurden aber die Pläne überarbeitet und am 7. Oktober 1948 wurde die französische Antwort auf den VW Käfer der Öffentlichkeit auf dem Pariser Automobilsalon erstmals vorgestellt. «Den Motor bekam man damals noch nicht zu sehen, weil das ausgestellte Modell noch gar keinen hatte», weiss Hafner, der in der Szene als «Döschwo-Ueli» bekannt ist.
Genial einfach, aber vielfältig
Die erste Version sei dann 1949 mit einem luftgekühlten Boxermotörchen auf den Markt gekommen, erläutert Ueli Hafner, welches eine Spitzengeschwindigkeit von 70 km/h ermöglichte. Zu Beginn betrug der Hubraum 375 Kubikcentimeter, die Leistung 9 PS, bei späteren Modellen wurde der Hubraum auf 602 Kubikcentimer, die Leistung auf 28 PS erhöht.
Die Ausstattung blieb – wie von Boulanger vorgegeben – einfach. Hinten und vorne zwei Sitzbänke, die sich einfach herausnehmen lassen. «So kommt man ganz einfach zu einer perfekten Sitzbank für ein Picknick», weiss Ueli Hafner. Und sind die Sitzbänke erst einmal draussen, lässt sich «la Deuche», wie ihn die Franzosen nennen, auch ganz gut als Kleintransporter verwenden. Das Faltdach besteht aus Segeltuch, das zusammengerollt werden kann – so wird das Auto auch zum Cabriolet. «Der 2 CV ist ein genial einfaches, aber vielfältiges Auto», sagt Ueli Hafner bestimmt, zudem sei er äusserst robust und wartungsarm.
Vom hässlichen Entlein zum Kultwagen
Als der Döschwo 1948 erstmals vorgestellt wurde, war das Interesse des Publikums zwar gross, das Echo in der Presse aber wenig euphorisch. Nachdem die «Toute Petite Voiture» (TPV) enthüllt worden war, schrieb die satirische Wochenzeitung «Le Canard enchaîné»: «Eine Konservendose, Modell freies Campen für vier Sardinen.» Ein holländischer Journalist betitelte den Döschwo als «hässliches Entlein» – der Übername dürfte der «Ente» so geblieben sein.
Trotzdem wurde der Döschwo zum Kassenschlager. Mehr als fünf Millionen Enten wurden verkauft. Zu Beginn der Produktion gab es sogar Wartezeiten von bis zu sechs Jahren, weil es nach Kriegsende an Rohstoffen, insbesondere Stahl, mangelte. Der Döschwo wurde trotzdem zum Kultwagen. Weil er relativ günstig zu kaufen war. Dank seiner technischen Extras wie der «Revolverschaltung», bei der der Schaltknüppel auf Höhe des Lenkrads mit Vor- und Rückwärtsbewegungen betätigt werden musste. Dank seiner ausgefeilten Federung, die eine extreme Kurvenlage ermöglichte. Und vielleicht auch, weil der Film dem «Deuche» mehr als nur ein Denkmal setzte. Unvergessen der französische Komiker Louis de Funès 1964 in «Le gendarme de Saint-Tropez». Oder die Verfolgungsjagd im James-Bond-Streifen «For your eyes only».
«Ceci n´est pas une voiture, mais un art de vivre» – übersetzt etwa «Das ist kein Auto, sondern eine Lebenseinstellung» – diese Aussage sei auf einem Döschwo-Plakat in den 1980-er-Jahren verkündet worden, sagt Ueli Hafner. «Das ist wohl auf einen kurzen Nenner gebracht das, was die Faszination des Döschwo ausmacht», führt er weiter aus. Etwas von dieser Lebenseinstellung versuchte Hafner, der über einundvierzig Jahre lang in seinem Traumberuf als Lehrer in Oberentfelden tätig war, auch an die ihm anvertrauten Kinder und Jugendlichen zu vermitteln. «Den Döschwo habe ich immer in meinen Unterricht eingebaut», erzählt er. Und zeigt in seinem Elternhaus in Oberentfelden all die Erinnerungstücke, welche er sorgfältig aufbewahrt hat: Fotoalben, Fachliteratur, Clubzeitschriften, Aufkleber, sogar einen Comic zur fabelhaften Geschichte des 2 CV gibt es. Und auch der Bastelbogen ist noch da, aus dem alle Schulkinder ihren eigenen «Deuche» zusammensetzen durften. «Es hat sich kein Auto besser geeignet als der 2 CV, wenn man den Kindern erklären wollte, wie ein Auto überhaupt funktioniert», sagt Ueli Hafner. Denn den Döschwo konnte man sogar mit einer Kurbel starten und dann sehen, was im Motorraum passiert. «Und das haben alle ‹meine› Schulkinder während des Unterrichts einmal gemacht», erzählt er.
1990 wurde die Produktion eingestellt
Aus der Schulstube zurück zum Döschwo. Bis zur endgültigen Produktionseinstellung vergingen mehr als vierzig Jahre. Am 27. Juli 1990 verliess der letzte Deux Chevaux die Produktionshallen im Citroën-Werk im portugiesischen Mangualde. Der letzte Döschwo, der in die Schweiz importiert wurde, war ein Charleston. Er ist heute im Automuseum der Emil Frey in Safenwil zu bewundern. Die Gründe für die Einstellung waren vielfältig. Einerseits ging vor allem in Frankreich die Nachfrage nach «Enten» spürbar zurück, andererseits entsprach der Wagen nicht mehr dem Stand der Technik und erfüllte insbesondere die strenger gewordenen Abgasvorschriften nicht mehr.
Geblieben ist eine grosse Fangemeinde, die in unzähligen «Enten»-Clubs organisiert ist – und die sich regelmässig an 2 CV-Treffen austauscht. Über einen Citroën, der unbestreitbar zu den Ikonen der Automobilgeschichte gehört.
Ach ja, was es noch zu sagen gilt: In Walterswil fährt Ueli Hafner mit dem Döschwo an den Strassenrand, steigt aus und sagt «Fahrerwechsel». Mit einer Entschiedenheit, die keinen Widerspruch duldet. Und tatsächlich: Das Fahren mit dem Oldtimer macht enorm Spass. Auch wenn es etwas Zeit braucht, um sich an die «Revolverschaltung» zu gewöhnen. Der Döschwo verzeiht alles. Und der «you»-Kreisel in Oftringen im dritten Gang – geht problemlos. Fast zu schnell sind wir in Zofingen zurück. Nach einer wunderbar entschleunigenden Fahrt.