Kein Kahlschlag des «Nordrister Birrer-Wäldlis» – Anwohner und Besitzer schlafen wieder ruhiger
Rothrist Ehemalige Kiesgrube ist nach intensiven Rodungsarbeiten neu ein Waldbiotop
Im Wald herbstet es nicht nur, «es herrsche auch eine Toilettenpapierstimmung», meinte kürzlich ein regionaler Forstwart in einem Interview, angesprochen auf die enorme Nachfrage nach Brennholz. Holz aus ihrer eigenen 32 Aren grossen Waldparzelle mitten im dicht besiedelten Wohnquartier am Brunner-, Born- und Stauwehrweg, haben Margrith und Peter Birrer seit dem Einsatz einer Gruppe des Forstbetriebes Region Zofingen unter der Leitung von Förster Peter Gruber bis zum Abwinken. Das «Birrer-Wäldli», das während Jahrzehnten ohne menschliches Dazutun aus einer ehemaligen Kiesgrube zu einem Wäldchen mit bis zu 30 Meter hohen Bäumen heranwuchs, ist im Gebiet ennet des Bahngleises im «Nordrist» vermutlich der grösste private Forst. Ein Forst, der dem Ehepaar sehr am Herzen liegt. Peter Birrer war bewusst, dass der Baumbestand längst ein kritisches Alter erreicht hatte und geschwächte Bäume für Anwohner und Strassenbenützer bei Windböen eine Gefahr waren.
Am 23. Juni um 20 Uhr krachte es am Stauwehrweg
Matchentscheidend, dass etwas zur Sicherheit der Anwohner und Passanten geschehen musste, war der Sturmabend vom 23. Juni 2022, als es gegen 20 Uhr gewaltig krachte. Eine etwa 30 m hohe Esche fiel quer über den Stauwehrweg und machte aus dem Gartenzaun eines Einfamilienhaus Kleinholz. «Kaum auszudenken, wenn Passanten oder ein vorbeifahrendes Fahrzeug getroffen worden wären», so ein nachdenklicher Peter Birrer. «Die Angst vor weiteren Sturmereignissen liess uns nicht mehr ruhig schlafen», meinte Peter Birrer weiter. Nach Kontaktaufnahme mit dem Kantonsförster Erwin Städler nahm sich Peter Gruber, Förster Forstbetrieb Region Zofingen West, der «Problem-Waldparzelle» inmitten des Wohnquartiers an. Unter Grubers Leitung wurden durch ein Holzerteam Bäume mit «Gefahrenpotenzial» gefällt. Die anspruchsvollen Rodungsarbeiten wurden von den Profis mit Unterstützung von schwerem Gerät in nur zweieinhalb Tagen ausgeführt. Das «Birrer-Wäldli» ist nun als Waldbiotop eingestuft. Die Parzelle ist weiterhin nicht überbaubar.
Vor 30 Jahren wurde das Wäldchen ins Waldregister eingetragen
Peter Birrer erinnert sich daran, dass der Schwiegervater seiner verstorbenen ersten Frau Ruth, Fritz Wehrli, den Aushub für den Bau des Chalets im Jahre 1952 selbst realisierte und mit unzähligen Bollensteinen im Wäldli einen Terrassengarten angelegt hatte. Diese Steinmauern befinden sich noch immer in einem guten Zustand. Auch soll der Pionier eine Schneckenzucht betrieben haben. Die «Schnägge» konnte er für gutes Geld der Hotellerie in St. Moritz verkaufen. Nachdem die Grube ihren Zenith überschritten hatte, überliess man sie der Natur. Nach und nach wuchs ein Wäldchen heran. Dazu Peter Birrer: «Vor etwa 30 Jahren entschied der damalige Kreisoberförster Herbert Schatzmann aus Zofingen, dass die Parzelle mit gut 50 Bäumen ins Waldregister eingetragen werden müsse. Pro Kalenderjahr durften wir 10 Kubikmeter Holz entnehmen.»
«Wäldli»-Grube lieferte einst Kies für das Ruppoldinger Wasserkraft- und Pumpspeicherkraftwerk
Aus Überlieferungen von Alfred Brunner, Grossvater der ersten Frau von Peter Birrer und Schwiegervater Fritz Wehrli, kennt der passionierte Jäger die Entstehung seines Wäldlis, das etwa vor 80 Jahren auf steinigem Boden zu wachsen begann. Vorher wurde aus der Grube, die sich gegen Westen ungefähr bis zur Stahlrohr AG (heute Benteler AG) erstreckte, Kies abgebaut. Material, das für den Bau des nahen alten Stauwehrs und den künstlich angelegten 750 Meter langen Kanal in grossen Mengen benötigt wurde.
Mit den Bauarbeiten am Werk Ruppoldingen wurde im November 1894 begonnen. Nach nur zweijähriger Bauzeit konnte die Anlage Mitte November 1896 mit sechs Maschineneinheiten in Betrieb genommen werden. Das Kraftwerk Ruppoldingen war damals eines der grössten der Schweiz. Die neuzeitliche Geschichte ist bekannt, das alte Kanalkraftwerk, das über 100 Jahre funktionierte, musste einem modernen, 220 Millionen Franken teuren Flusskraftwerk weichen. Rund 104 Jahre – von 1896 bis Juni 2000 – war das Kanalkraftwerk Ruppoldingen die Energiequelle für umliegende Gemeinden.