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Tiefer Wasserstand macht Fischen aktuell nicht zu schaffen

Die Aare lässt momentan tief blicken. Der Wasserstand ist ziemlich niedrig. Was bedeutet das für die Fischwelt? Im Gespräch mit drei Experten – dem kantonalen Fischereiaufseher Samuel Gerhard und zwei ehrenamtlichen Fischereiaufsehern des Fischervereins Aarburg, Hansruedi Joss und Roland Sommer.

Aarburg Die Artenzusammensetzung in der Aare hat sich verändert

Wer jetzt einen Spaziergang der Aare entlang macht, dem fällt auf: Der Wasserstand ist tief. Ein Blick auf die bei Murgenthal gemessenen Abflussmengen bestätigt das: Flossen im Januar durchschnittlich 389 Kubikmeter Wasser die Aare runter, so sank der Mittelwert im Februar auf 241 Kubikmeter, im März waren es gar nur noch 134 Kubikmeter. Damit lag der Wert im März ganz nahe bei den Abflusswerten aus dem heissen Jahr 2022, als es gar nur 128 Kubikmeter waren. In eben diesem 2022, als der Schweizerische Fischerei-Verband in einer Pressemitteilung verlauten liess: «Für die Fische stehen die Zeichen auf Tragödie». Wie also sieht es momentan unter Wasser aus, zumal Regenfälle in den nächsten Tagen nicht zu erwarten sind? Die Frage richtet sich an drei Experten, den kantonalen Fischereiaufseher Samuel Gerhard (Oftringen) sowie zwei ehrenamtliche Fischereiaufseher des Fischervereins Aarburg, Hansruedi Joss (Aarburg) und Roland Sommer (Strengelbach). 

Von Alarmstimmung ist bei den drei Fischereiaufsehern nichts zu spüren. Für die Fische ist die Lage momentan nicht bedenklich – wir haben einen Wasserstand, wie er für diese Jahreszeit nicht unüblich ist», hält Hansruedi Joss fest. Zudem sind die Temperaturen momentan auch noch tief. Die Laichzeit von Frühjahrslaichern wie Äsche oder Hecht habe eingesetzt, jene von Alet, Barbe und anderen Fischarten werde folgen, sobald das Wasser wärmer sei, führt Joss weiter aus. Jetzt sei es wichtig, dass nicht plötzlich ein Zuviel an Wasser komme. «Denn ein plötzliches Hochwasser würde den Laich möglicherweise negativ beeinträchtigen oder gar wegschwemmen», betont der 66-jährige Aarburger Spenglermeister, der wie seine beiden Kollegen seit Jugendtagen ein begeisterter Fischer ist. Auf der anderen Seite brauche es in den kommenden Wochen und Monaten wieder mehr Wasser, meint Samuel Gerhard. «Ein tiefer Wasserstand wird dann zum Problem, wenn die Temperaturen steigen und sich das Wasser (zu) stark erwärmt», betont der 62-jährige Fischereiaufseher. Denn Fische reagieren sensibler als andere Lebewesen auf noch so kleine langfristige Temperaturschwankungen.

Die Aare führt momentan wenig Wasser.
Bild: Thomas Fürst

Viele Fischarten sind in Gefahr

Gerhard schätzt, dass die durchschnittlichen Wassertemperaturen in der Aare in den letzten fünfzig Jahren um etwa 1,5 Grad angestiegen sind. Tönt nach wenig, ist aber für Fische viel. «Für die Fische stehen die Zeichen auf Tragödie», diese Aussage von 2022 gelte heute noch – zumindest für Kaltwasser liebende Arten, hält Samuel Gerhard fest. In der Aare seien insbesondere Äschen, Forellen und Barben davon betroffen. «Gerade bei den Äschen haben wir beim Laichmonitoring in den letzten beiden Jahren ganz schlechte Ergebnisse erhalten», sagt Roland Sommer. Dies deute darauf hin, dass es in der Aare möglicherweise weniger grosse Muttertiere gebe. Bei Äschen und Forellen wird auch kein Besatz – darunter versteht man das Aussetzen einer grösseren Anzahl von Fischen in ein Gewässer – mehr vorgenommen. Aus gutem Grund, wie der 56-jährige Sommer betont: «Erfolge blieben aus – die Fischbestände konnten auf diesem Weg nicht erhöht werden.»

Auch das Schweizerische Bundesamt für Umwelt (BAFU) stuft die Lage für Fische in den Schweizer Seen und Flüssen immer schlechter ein.  Laut der 2022 veröffentlichten «Roten Liste der Fische und Rundmäuler» werden die Schweizer Gewässer aktuell von 90 Arten besiedelt, wovon 19 nicht zur einheimischen Fischfauna zählen. Das BAFU hat den Gefährdungsgrad der 71 einheimischen Arten analysiert. 9 Arten sind in den letzten 100 Jahren in der Schweiz ausgestorben, 15 sind vom Aussterben bedroht, 8 sind stark gefährdet, 11 verletzlich und 9 Arten sind potenziell gefährdet. Von den verbleibenden 19 einheimischen Arten gelten nur gerade 14 als nicht gefährdet, bei 5 Arten reichen die vorhandenen Daten und Kenntnisse nicht aus, um ihnen einen Gefährdungsstatus zuzuordnen. Fazit: Die Fische gehören in der Schweiz zu den am stärksten gefährdeten Tierarten überhaupt.

Fangzahlen sind relativ stabil geblieben

Logischerweise müsste also auch der Fischbestand in der Aare abgenommen haben? Samuel Gerhard lacht und sagt: «Die Aare ist unergründlich». Aussagen über den Fischbestand in der Aare zu machen, sei schier unmöglich. Es gelte zu bedenken, dass rund 90 Prozent der Aare nicht befischt würden. Zudem wandern Fische auch. Im Winter werden von verschiedenen Fischarten Winterhabitate bezogen. Je nach Fischart gibt es auch Laichwanderungen über viele Kilometer. Durch dieses Wanderverhalten der Fische gibt es riesige Unterschiede der lokalen Fischdichte. So gebe es zum Beispiel Tage, ja sogar Wochen, da fange man kein Egli – und plötzlich seien sie wieder da. «Was man aber mit Bestimmheit sagen kann: Es hat in der Aare heutzutage deutlich mehr Welse als früher und der Alet zählt auch zu den Gewinnern», betont er. Anders ausgedrückt: Die Artenzusammensetzung hat sich verändert. Es sind vor allem die wärmeliebenden Arten wie Alet, Egli, Karpfen, Wels, Zander oder Hecht, welche auf dem Vormarsch sind. Das zwinge auch die Petrijünger zum Umdenken. «Wir können nicht mehr auf Forelle jagen, sondern müssen Wels jagen», betont Hansruedi Joss.

Veränderungen, die in diese Richtung zielen, zeigen sich auch in der kantonalen Fischfangstatistik. Die Zahl der in der Aare gefangenen Fische ist seit 2013 mehr oder weniger stabil geblieben. «Eine Fischfangstatistik zeigt nur, wie viele Fische in welcher Zeit aus der Aare entnommen wurden», betont Gerhard. Rückschlüsse darauf, welche Arten in der Aare vorhanden seien, könne man einer Fischfangstatistik nicht entnehmen, betont er weiter, sie liefere allenfalls Indizien, dass sich die Artenzusammensetzung verschoben haben könne. Der Anteil der wärmeliebenden Arten am Gesamtfang hat sich jedenfalls in den letzten Jahren deutlich erhöht. Wie in allen anderen Flüssen auch werden kaum noch Äschen und Forellen aus der Aare gezogen. Die letzten vorliegenden Zahlen von 2023 zeigen einen Gesamtfang von 6793 Fischen. Fast 80 Prozent davon gehen auf das Konto von drei wärmeliebenden Arten: 3419 Flussbarsche/Egli, 1339 Alet und 609 Welse. 

Laichhilfen für Egli

Seit einigen Jahren engagieren sich die Mitglieder des Aarburger Fischereivereins auch als «Geburtshelfer», indem sie mit Steinen befestigte Weihnachtsbäume – dieses Jahr gespendet vom Zofinger Strassenbauunternehmen Aeschlimann AG sowie vom Küngoldinger Landwirt Thomas Widmer – in der Aare versenkten. Sie dienen in erster Linie dem Egli als Laichhilfen, bieten aber auch anderen Fischen Schutz und erhöhen auch die Artenvielfalt von wirbellosen Kleintieren im Gewässer. «Es ist letztlich erfolgsversprechender, naturnahe Strukturen zu schaffen, die der Naturverlaichung dienen», betonte Hansruedi Joss, der bei der «Tannenbaum-Aktion» bei den oberen Aare-Inseln am letzten Samstag als Kapitän im Einsatz stand.

Die Mitglieder des Fischereivereins Aarburg betätigten sich am Wochenende als «Geburtshelfer».
Bild: Thomas Fürst
Hansruedi Joss lenkt sein Boot ein erstes Mal zu den oberen Inseln.
Bild: Thomas Fürst
Oskar Graber (hinten) und Martin Zimmerli warfen die mit Steinen beschwerten Tannenbäume bei der zweiten Fahrt über Bord.
Bild: Thomas Fürst